Herleitung von Zylinderentwürfen

Im folgenden wird am Beispiel des Zylinderentwurfs exemplarisch die Vorgehensweise bei der mathematischen Konstruktion von Kartennetzentwürfen vorgeführt. Dabei werden Winkel stets im Bogenmaß angegeben. Der Globus wird zu der Einheitskugel mit Radius 1 "verkleinert". Es gilt immer

     -   ≤  u  ≤      und    -  / 2  ≤  v  ≤   / 2 ,

wobei u als geographische Länge und v als geographische Breite interpretiert wird.

1. Etappe: mittabstandstreuer Zylinderentwurf (Marinos von Tyrus)

Der einfachste Zylinderentwurf ist die sogenannte Plattkarte. Bei der Plattkarte handelt es sich um eine der ältesten Karten überhaupt (um 100 n.Chr.). Sie entsteht aus der einfachen Zuordnung von geographischen Koordinaten (u,v) der Einheitskugel zu rechtwinkligen Koordinaten (x,y) der Ebene. Wir setzen also

      x = u    und    y = v .               (1)

 mittabstandstreuer Zylinderentwurf (Marinos von Tyrus)

Anschaulich gesprochen: Es wird der (Einheits-) Kugel ein Berührdrehzylinder übergestülpt. Der Äquator als Berührkreis wird längentreu abgebildet. Die Länge der Meridiane bestimmt die Höhe des Zylinders, d.h. es gibt keine (Längen-) Verzerrung in Nord-Süd-Richtung. Die (Längen-) Verzerrung in Ost-West-Richtung auf der Breite v läßt sich leicht ermitteln:

               Cosinus

Der Radius des Breitenkreises v wird auf den Radius des Äquators gestreckt. Bezogen auf die (Einheits-) Kugel mit Radius 1 heißt dies, der Radius des Breitenkreises v ( also cos(v) ) wird auf  1  gestreckt. Also ist der Streckungsfaktor  1 / cos(v) . Da der Umfang eines Kreises proportional zum Radius des Kreises ist, haben wir mit  1 / cos(v)  die (Längen-) Verzerrung in Ost-West-Richtung auf der Breite v gefunden. Dieses Verzerrungsmaß gilt übrigens für alle hier vorgestellten Zylinderentwürfe. -

2. Etappe: flächentreuer Zylinderentwurf (Archimedes)

Interessante Variationen der Plattkarte (1) erhalten wir, wenn wir entlang der Nord-Süd-Richtung (y-Richtung) eine nicht-lineare Skalierung einführen:

      x = u    und    y = f(v)                (2)

mit einer passenden Funktion f .

Nehmen wir  f(v) = sin(v) , so erhalten wir den flächentreuen Zylinderentwurf, der auf Archimedes zurückgeht.

flächentreuer Zylinderentwurf (Archimedes)

Die Flächentreue dieses Zylinderentwurfs ergibt sich aus dem Satz von Archimedes, der besagt, dass

eine Kugelkappe (Kugelzone) flächengleich ist zu einem Zylindermantel, von gleicher Höhe und gleichem Radius.

               Sinus

Bei diesem Zylinderentwurf ist die (Längen-) Verzerrung in Ost-West-Richtung auf der Breite v wie bei der Plattkarte (1) gegeben durch  1 / cos(v) .

Mit der (Längen-) Verzerrung in Nord-Süd-Richtung verhält es sich nicht so einfach. Offenbar verzerrt die obige Skalierung (2) nicht auf dem ganzen Meridian gleichmäßig. Wir betrachten deshalb die (Längen-) Verzerrung eines Meridianbogens  lokal zwischen den Breiten v1 und v2, mit anderen Worten wir untersuchen den Differenzenquotienten

        Differenzenquotient .

Für kleine Bögen    erhält man die lokale (Längen-) Verzerrung in der Umgebung eines Punktes der Breite v1; mit    ergibt sich also die Ableitung

    Differentialquotient

als lokale Nord-Süd-Verzerrung einer Karte (2) auf der Breite v. Die Differenzierbarkeit ist also eine konkrete Forderung an obige Skalierung f. Weitere sinnvolle Forderungen, die von der Geometrie aus zu begründen sind:  f(0) = 0 (Normierung), f ist monoton wachsend, f ist ungerade (d.h. Symmetrie mit  f(v) = - f(-v)), Ableitung von f  ist monoton.

Der flächentreuen Zylinderentwurf nach Archimedes hat also in einer Umgebung der Breite v die lokale Nord-Süd-Verzerrung  f ' (v) = cos(v) . -

3. Etappe: winkeltreuer Zylinderentwurf (Mercator)

Nachdem wir nun den mittabstandstreuen und den flächentreuen Zylinderentwurf kennengelernt haben, wenden wir uns nun der dritten möglichen differentialgeometrischen Eigenschaft von Karten zu, in unserem Exkurs also dem winkeltreuen Zylinderentwurf.

Der winkeltreue Zylinderentwurf ist eine der bedeutendsten (und historisch interessantesten) Karten überhaupt. Sie wurde im 16. Jh. von G. Mercator als Seekarte entworfen. Ihre große Bedeutung für die Seefahrt ist nach wie vor ungebrochen.

winkeltreuer Zylinderentwurf (Mercator)

Bei den zuletzt vorgestellten Zylinderentwürfen haben sich die Abbildungsgleichungen quasi von selbst ergeben. Hier liegt der Fall etwas anders: Wir fragen uns, wie muß die Skalierung f der y-Achse konstruiert werden, damit unser Zylinderentwurf (2) winkeltreu ist.

Wir untersuchen zunächst kurz den Begriff »winkeltreu«. Sie erinnern sich bestimmt an die Beschreibung des Begriffs »ähnlich« im Zusammenhang mit Dreiecken im Geometrieunterricht. Zwei Dreiecke (in der Ebene) heißen ähnlich, wenn die Streckenverhältnisse zugeordneter Seiten gleichbleiben. Dies ist aber genau dann der Fall, wenn entsprechende Winkel gleich sind.

Nun sind winkeltreue Entwürfe   l o k a l   Ähnlichkeitsabbildungen, d.h. kleine Figuren auf dem Globus erscheinen auf der Karte als ähnliche Figuren; insbesondere muß ein kleiner Kreis um einen beliebigen Punkt auf dem Globus als Kreis auf der Karte abgebildet werden. Also muß die lokale Nord-Süd-Verzerrung  f ' (v)  mit der Verzerrung in Ost-West-Richtung auf der Breite v übereinstimmen.

Als notwendige Bedingung für die Winkeltreue eines Zylinderentwurfs ergibt sich demnach:

        

Diese Bedingung ist auch hinreichend.

Die Lösung des Integrals ergibt für die Skalierung f:  f (v) = ln tan(  / 4  +  v / 2 ).  Damit haben wir die Mercatorkarte abschließend beschrieben.

Verallgemeinerungen auf Schnittdrehzylinder

In den obigen Ausführungen sind wir immer von einem Berührdrehzylinder ausgegangen. Hierbei wird ausschließlich der Äquator als einziger Breitenkreis längentreu abgebildet.

Die Zuhilfenahme eines Schnittdrehzylinders liefert hingegen zwei längentreu abgebildete Breitenkreise  + v0 und - v0. Die Abwicklung des Schnittdrehzylinders ergibt eine in x-Richtung gestauchte Karte. Für diese Art von Zylinderentwurf gilt:

        x = u * c        mit  0 < c  ≤  1 .               (3)

Ganz analog zu den obigen Überlegungen zur (Längen-) Verzerrung in Ost-West-Richtung auf der Breite v ergibt sich als Stauchungsfaktor in x-Richtung:

        c = cos(v0)

und als (Längen-) Verzerrung in Ost-West-Richtung auf der Breite v bei allen drei oben vorgestellten Karten  cos(v0) / cos(v)  statt  1 / cos(v). Je nach differentialgeometrischer Eigenschaft des Zylinderentwurfs fordert dieser Umstand auch Abwandlungen der Skalierungen  f (v)  in Nord-Süd-Richtung.

1. Für den mittabstandstreuen Zylinderentwurf folgt:   f (v) = v .
2. Für den flächentreuen Zylinderentwurf folgt:   f (v) = sin(v) / cos(v0) .
3. Für den winkeltreuen Zylinderentwurf folgt:   f (v) = cos(v0) * ln tan(  / 4  +  v / 2 ) .

Überprüfen Sie einmal die obigen Festlegungen anhand der obigen Vorgehensweise. -

Die Verwendung der (Schnitt-) Zylinderprojektionen bietet sich dann an, wenn man - statt am Äquator - in einer Umgebung der Breitenkreise  + v0 oder - v0 gute Verzerrungswerte benötigt.

  
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